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„Ein Sechser im Lotto“

Franz Brunner leitet seit August die Werkstatt der Barmherzige Brüder Behindertenhilfe in Straubing

Zeit hat in seinem Berufsleben schon immer eine Rolle gespielt. Mal bei der REFA-Grundausbildung für seinen Einsatz im Bereich Zeitdatenmanagement. Mal als er zusätzlich zur Leitung zweier Abteilungen noch seine Bachelorarbeit geschrieben hat. Irgendwie hat sich Franz Brunner mit dem Faktor Zeit immer arrangiert: Er könne halt gut mit der Zeit, die ihm zur Verfügung steht, haushalten, erzählt er mit einem verschmitzten Lächeln. Und er war in seinem bisherigen Berufsleben immer wieder zur rechten Zeit am rechten Ort.

Seit Mitte August ist der 46-jährige Industriemeister, der auf seine Weiterbildung zum Technischen Betriebswirt noch ein Bachelorstudium Betriebliches Management draufgesetzt hat, genau dort, wo er sich in seiner beruflichen Laufbahn schon immer wohlgefühlt hat: am richtigen Ort. Der ist im Südosten Straubings, genauer gesagt links und rechts der Äußeren Passauer Straße. Dort befinden sich die beiden Werkstätten der Barmherzige Brüder Behindertenhilfe. Dort steht auch sein neuer Schreibtisch. Den hat er in den vergangenen Wochen aber noch nicht oft benutzt. Schließlich gab es für ihn Wichtigeres zu tun: Menschen kennenlernen zum Beispiel. Allein sich die Namen der 210 Beschäftigten und seiner 28 Mitarbeitenden zu merken, hat Franz Brunner einige Zeit beschäftigt.

So ist es auch kein Wunder, dass die Zeichnungen seiner Kinder noch auf dem Schreibtisch liegen – direkt neben dem Sozialgesetzbuch. Die Zeit, sie im neuen Büro aufzuhängen, hat er noch nicht gefunden. Dafür hat er schon einige Stunden damit verbracht, im Gesetzestext nachzuschlagen. Das Juristische, erzählt er, ist für ihn als neuer Werkstattleiter die aktuell größte Herausforderung. Alles andere – Produktion, Planung, Material- und Zeitwirtschaft sowie die Übernahme von Verantwortung – kennt er schon aus seinen fast 31 Dienstjahren beim Getränkeanlagen-Hersteller KRONES.

Wechsel nach fast 31 Jahren

Die Frage, warum man ein Unternehmen nach so langer Zeit verlässt – übrigens „im Guten“, nimmt Franz Brunner im Gespräch gleich vorweg: Es sei die Kombination aus Lebensalter (46 Jahre) plus Berufserfahrung (über 30 Jahre) plus seine Führungserfahrung (zwölf Jahre) gewesen. „Ich war einfach so weit, dass ich nochmal etwas anderes ausprobieren wollte“, sagt er fast entschuldigend. Die Entscheidung hat er sich anfangs auch nicht leichtgemacht. Drei Samstage lang hat er sich die Anzeige der Barmherzige Brüder Behindertenhilfe im Straubinger Tagblatt immer wieder angeschaut. Durchgelesen, was gewünscht und was geboten wird. Und nachgedacht. Solange, bis seine Frau irgendwann beschlossen hat, „entweder du bewirbst dich jetzt, oder ich mach das für dich“.

Bei der Erinnerung an diesen Moment muss Brunner lachen. Er, die Führungskraft im Job, ist zu Hause ein echter Teamplayer. Und ohne die Rückendeckung seiner Frau hätte er den Schritt womöglich nicht gewagt. Aber im vergangenen Winter war es dann klar: Wenn nicht jetzt, wann dann? Am Tag der Zusage hatte er schließlich das Gefühl, einen Sechser im Lotto gewonnen zu haben.

Job „mit Sinn“ gesucht

Der neue Werkstattleiter sollte Führungserfahrung mitbringen; das kann Franz Brunner bieten. Dafür sollte sein neuer Job „etwas mit Sinn“ sein; das hat sich für ihn erfüllt. Werkstätten für behinderte Menschen sind Orte zur Teilhabe am Arbeitsleben. In Straubing werden Beschäftigte mit einer geistigen oder psychischen Behinderung in ihrer Leistungsfähigkeit gefördert und bei der Entwicklung ihrer Persönlichkeit unterstützt. Hier erhalten sie auch Zugang zu beruflicher Bildung sowie pflegerischen Leistungen.

Für diese Menschen darf der gebürtige und wohnhafte Niederbayer nun Verantwortung übernehmen. Zusammen mit seinen beiden Abteilungsleitern Reinhard Fuchs und Thomas Meinzinger betreut, lenkt und leitet er 17 Arbeitsgruppen. Deren Aufgabenspektrum reicht dabei von der Teppichweberei (Eigenproduktion) über leichtere Montagetätigkeiten bis hin zu Verpackungsarbeiten und Kommissionierung für Kunden. Punktuell kommt auch Büroservice dazu. Lageraufträge werden dabei bevorzugt angenommen, um die Beschäftigten möglichst wenig mit Termindruck zu belasten.

Die Liste der Auftraggeber aus der Industrie macht das Trio stolz. Ein Heizkörper- und Sanitärprodukte-Hersteller beispielsweise ist ein Kunde der ersten Werkstattstunde. Aber auch zahlreiche andere namhafte Firmen aus der Automobil- und Baubranche arbeiten seit vielen Jahren mit der Barmherzige Brüder Behindertenhilfe zusammen. – Für den Leiter ein klares Zeichen dafür, dass „unsere Qualität passt“.

Digitalisierung im Fokus

Aber Brunner wäre nicht er selbst, wenn er sich mit „passt“ zufriedengibt. Er ist ein Macher; einer, der sich einbringen und das, wofür er brennt, voranbringen möchte. Aber auch einer, der weiß, dass es nur zusammen gut vorangeht. Vertrauensvolle Kommunikation, kollegiales Verhalten, respektvoller Umgang und Arbeiten auf Augenhöhe bezeichnet er als seine Werte. Klar formuliert er seine Ziele für die Werkstatt: stets ausreichend attraktive Aufträge, um die Arbeitsplätze zu sichern und die Beschäftigten zu befähigen, zu trainieren und weiterzuentwickeln. Dafür möchte er künftig bei der internen Ausstattung wie bei den Dienstleistungsangeboten stärker auf Digitalisierung setzen. Das ist übrigens ganz im Sinne seines Chefs, Geschäftsführer Harald Auer, der zuvor zehn Jahre die Geschicke der beiden Werkstätten geleitet hat.

Und ein ganz persönliches Ziel hat sich der Niederbayer mit den bestechend blauen Augen und dem offenen Lachen dann auch noch gesteckt: Er möchte seinen ehemaligen Arbeitgeber als Kunden gewinnen. Denn viele seiner dortigen Kollegen könnten sich gar nicht vorstellen, wie professionell es in der Werkstatt zugeht. Wann er dieses Ziel angehen möchte? „Wenn ich mich als Werkstattleiter sattelfest fühle“, antwortet Franz Brunner. Also wenn es für ihn an der Zeit ist.